Naja... gute Geste... nicht wirklich, er tat es nur, weil es nicht mehr anders ging. Er hätte schon früher abtreten müssen, dass es eine gute Geste gewesen wäre. Und er vermied ja ziemlich deutlich das Wort "Rücktritt"; teils hörte sich die Rede so an, als wenn er gerade eine Wahl gewonnen hätte. Der hat nix verstanden.
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Aber zu einem anderen Thema: Gerade wird im Bundestag ein Antrag zur ÖPNV-Anschlussregelung 9-Euro-Ticket besprochen. Die Linkspartei hat beantragt,
das 9-Euro-Ticket bis Ende des Jahres zu verlängern.
Ich höre, dass einige Abgeordnete, und zwar von CDU und AfD ziemlich schimpfen und das 9-Euro-Ticket für gescheitert erklären. Und warum? Die betreffenden Abgeordneten kommen aus dem ländlichen Raum, wo es zu wenig ÖPNV-Angebote gibt. Schon klar, dass die das dann nur schwer nützen können, aber das liegt nicht am Ticket, und nicht das Ticket ist gescheitert, sondern es liegt an der Politik der letzten Jahrzehnte.
Wollen wir uns doch mal einen Überblick verschaffen über die Verkehrspolitik:
1.) Ausgangssituaton nach dem 2. Weltkrieg
Als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde, gab es ein dichtes Eisenbahnnetz, auch wenn es noch immer nicht überall wieder aufgebaut war nach den Kriegsschäden. Es gab zweitens noch die Reichsautobahnen und es gab natürlich auch Bundesstraßen, damals aber noch ohne Ortsumgehungen, und auf beiden war 1949 weniger Verkehr als heute auf vielen Nebenstraßen. Kein Wunder, die wenigsten Leute hatten ein Auto. Mein Opa hatte eins, der hatte noch vor Kriegsbeginn eines gekauft (Adler Trumpf Junior) und den Wagen dann über den Krieg hinweg versteckt. Mit dem KdF-Wagen war es nichts geworden, die Gelder, die die Sparer eingezahlt hatten, war der Krieg finanziert worden, das Werk in Wolfsburg (damals "Stadt des KdF-Wagens") hatte nur fürs Militär gebaut, etwa den Kübelwagen.
2) 1950er Jahre
Nun kamen die 50er Jahre und es ging den Westdeutschen schnell wieder besser, und immer mehr konnten sich ein Auto leisten, die Automobilindustrie boomte. Da aber zunächst das Hauptaugenmerk auf den Wohnungsbau gerichtet wurde, nicht auf den Straßenbau, hielten die Straßen mit dem zunehmenden Verkehr nicht mit. Die Leute merkten schon, dass es eigentlich plötzlich zu viele Autos gab, aber sie zogen nicht die richtigen Schlüsse daraus. Im Getenteil, der 1millionste VW Käfer wurde 1955 frenetisch gefeiert.
3.) 1960er und 1970er Jahre
Und dann begann man, natürlich mit Staatsmitteln, die Straßen kräftig auszubauen. In den Städten entstanden breite Straßenschneisen, man denke mal an den Mittleren Ring, neue Autobahnen wurden gebaut, dann auch Umgehungen für Orte. Noch in den frühen 1970er Jahren führten viele Bundesstraßén durch Ortsdurchfahrten, die dem Verkehr längst nicht mehr gewachsen waren. Jeder meinte nun, er müsse überall mit dem Auto hin. Die enge und kurvenreiche Durchfahrt von Landsberg am Lech wurde damals, ich habe es einmal gelesen, von täglich 44.000 Autos durchfahren, damals gab es dort die Bundesstraße 12; heute ist da die A96 (München-Lindau). Und hier im Nachbarort führte ebenfalls die Bundesstraße 12 durch, ich rede von Feldkirchen bei München. Die heutige Autobahn München-Passau (A94) endete am Flughafen Riem. Ich erinnere mich noch, dass damals, wenn wir nach Hause fuhren, oft der Stau schon an der Ausfahrt Daglfing begann und dann durchging bis in die Ortsmitte von Feldkirchen reichte, wo die Kreuzung war. Auch in Nord-Süd-Richtung war da viel Verkehr; die A99 existierte auch noch nicht. Zwar fuhr der meiste Fernverkehr über den chronisch überlasteten Mittleren Ring, aber die Bundesstraße 471 Ismaning - Putzbrunn war auch stärker befahren als heute. So erstickte Feldkirchen geradezu im Verkehr.
Aber was war derweil mit der Bahn? Da immer mehr Leute aufs Auto umstiegen, fuhren weniger Leute mit der Bahn. Und die Bahn sorgte nicht etwa dafür, dass sie attraktiver wurde, sondern legte seit Anfang der 1960er Jahre zahlreiche Strecken still, was noch mehr Menschen dazu brachte, auf das Auto umzusteigen.
Aber das war a uch seitens der verschiedenen Bundesregierungen so gewünscht. Denn der Boom der Autoindustrie bedeutete Arbeitsplätze, und mit niedriger Arbeitslosigkeit ließ sich gut renommieren. So ging es schon damals los, dass die Automobilfirmen immer wieder gefördert wurden, damit nur ja nix schief geht. Schon damals sahen sich die Verkehrsminister in erster Linie als Autominister, und das ist, wie wir wissen, bis heute so geblieben.
Das änderte sich auch nicht, als 1969 erstmals die CDU/CSU in die Opposition gehen musste. Eine Autolobbypartei war ja noch in der Regierung, nämlich die FDP.
4) 1970er und 80er Jahre
Und auch als man in den 80er Jahren bemerkte, dass die vielen Autos schon längst zum Umweltproblem geworden waren, wurde nicht damit reagiert, dass man die Leute zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen versuchte, sondern es wurden dann - sicherlich auch nicht ganz zu Unrecht - Katalysatoren zur Pflicht gemacht, die einen Teil der Abgase ausfilterten, wenn auch nicht das CO2, das weiterhin in großen Mengen in die Umwelt geblasen wurde und das uns heute die größten Probleme macht. Der ÖPNV wurde nicht gefördet, im Gegenteil, es wurde zum Beispiel in München ernsthaft daran gedacht, die Straßenbahn ganz einzustellen. Stattdessen wurden immer neue Straßen gebaut, Autobahnen neu gebaut oder verbreitert, neue Bundes- und Umgehungsstraßen gebaut. Mein Gott, wie hätte man mit dem vielen Geld den ÖPNV und überhaupt die öffentlichen Verkehrsmittel verbessern können!
Ich erinnere mich, dass man zu der Zeit, als ich zum Aufofahren kam und den Führerschein machen konnte, in den frühen 80er Jahren, fast nur etwas galt, wenn man dann auch mit dem Auto daher kam. Kam man plötzlich wieder mit dem ÖPNV oder mit dem Fahrrad, musste man sich die Frage gefallen lassen, ob man den Führerschein gezwickt bekommen hatte.
Ich muss auch zugeben, dass wir in unserer Familie nicht so schnell auf den ÖPNV umstiegen wie es eigentlich gut gewesen wäre. Ab 1972 fuhr die Münchner S-Bahn und man konnte in 20 Minuten von uns ohne Umsteigen zum Isartor gelangen, wo unser Geschäft war, aber insbesondere mein Vater (anfangs auch meine Mutter) fuhren weiter mit dem Auto. Wir hatten noch einen Parkplatz in dem Hof des Hauses gemietet, wo meine Mutter vor ihrer Heirat gewohnt hatte, das war ganz in der Nähe des Geschäfts, und danach, als das nicht mehr ging, um die Ecke in der Baaderstraße im Parkhaus.
In den 80er Jahren, um da wieder anzuschließen, war dann die schwarz-gelbe Regierung an der Macht; das Schreckenskabinett der damaligen Verkehrsminister habe ich ja schon vorgestellt.
6) 1990er Jahre
Und die Deutsche Bundesbahn war marode geworden. Dazu kam die Belastung der Wiedervereinigung - die Strecken der ehemaligen Reichsbahn in der DDR waren noch maroder als die im Westen. Also sollte nun eine Teilprivatisierung kommen. Und ich glaube, wir hatten davon schon einmal gesprochen, dass in der dazu notwendigen rechtlichen Grundlage, die der Bundestag beschloss, die Förderung nur für den Fernverkehr der Bahn gelten sollte. Offenbar fürchtete man, wenn das Geld auch in den Regional- und Nahverkehr geht, würde das die Autoindustrie schädigen (ich gehe davon aus, dass die Autoindustrielobby dafür sorgte, dass sich dieser Gedanke verbreitete). Die Bundesregierung setzte weiter auf das Auto.
7) 2000er Jahre bis heute
Nach dem Regierungswechsel 1998 waren erstmals die Grünen mti an der Regierung, aber viel änderte sich nicht. Der Bundesverkehrsminister wurde von der SPD gestellt, zudem wurden die Ressorts von Verkehr und Bau zusammen gelegt. So geschah auch da nicht viel. Das Verkehrs- und Bauministerium blieb auch bis 2013 noch bei der SPD, als Merkel Kanzlerin wurde. Und ab 2013 hatten die CSU-Minister Ramsauer, Schmidt und Scheuer das Verkehrsministeirum inne... natürlich Autofans. Während das Netz der Bahn immer maroder wurde, kümmerte sich Scheuer um sein Autobahnmautprojekt, das dann den Bach runter ging, und schleimte sich bei der Automobilindustrie ein. Und leider ist es heute auch noch nicht anders, auch der heutige Verkehrsminister Wissing (FDP) ist ein Autominister.
Und drum wird der ÖPNV weiterhin stiefmütterlich behandelt und drum wird nichts getan, um das marode Schienennetz der Bahn zu sanieren - die Bahn ist nur an Prestigeprojekten wie Schnellfahrstrecken für den ICE und repräsentativen Bahnhöfen interessiert, während die Infrastruktur vernachlässigt wird - auch das ein Resultat der fehlgeleiteten und einseitig auf das Auto ausgerichteten Verkehrsförderung durch die Bundesregierung.
So, das ist jetzt etwas länger geworden als geplant, aber es musste mal sein!